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Sommerschule

Blogbeitrag von Britta Scheunemann

2022 hat es mich zum ersten Mal nach Puerto Barantilla verschlagen, wo ich während drei Monaten in dem kleinen Schulhäuschen neben dem Haupthaus der Finca Don Sigifredo einzelne Klassen unterrichtet und an zwei Tagen in der staatlichen Zwerg- und Mehrklassenschule flussabwärts ausgeholfen habe. Der Lernstand nach über zwei Jahren Schulschliessung wegen Covid und indigenen Unruhen im Land war katastrophal… Als ich dann wieder in die Schweiz aufgebrochen bin, da hatte ich ein Stück meines Herzens hier im Dschungel gelassen und das Gefühl, wiederkommen zu müssen, um nicht eine dieser Freiwilligen zu sein, die mit Menschen arbeiten, ein paar nette Selfies machen und dann wieder in den Wohlstand abreisen. So entstand die Idee der Sommerschule in Puerto Barantilla und 2023 war ich im Juli erneut in Ecuador, um zu sehen, wie diese Idee wohl ankommt. Sie kam gut an, die Kinder fragten, wann sie kommen dürften, die Eltern waren dankbar und ich hatte riesige Freude, auch wenn das Ganze als One-Woman-Show doch auch recht anstrengend war. Aber es stand ausser Frage, dass ich wiederkommen würde, und so haben wir in diesem Jahr mit dem zweiten Sommercamp gestartet. An Spitzentagen waren bis zu 13 Kinder vor Ort und das Schulhäuschen ist aus allen Nähten geplatzt, die Stühle reichten kaum aus und das Essen mussten wir auch strecken, denn (machen wir uns nichts vor), die Tatsache, dass es ein Frühstück mit Haferbrei und Obst gibt und wir auch gemeinsam Mittag essen, ist zweifelsohne ein gewisser Attraktivitätspunkt.

Ein Tag im Leben der Maestra (d.h. Lehrerin auf Spanisch) sieht in der Regel wie folgt aus: Aufstehen gegen 6 Uhr, wenn Hector und Yuma laut an ihren Hundeschüsseln klappern, einen Tee im Hängestuhl trinken – ebenso wie Michi und Joëlle einen Kaffee vor ihrem Haus – und den Blick und die Geräusche des Dschungels geniessen. Die Tische vorbereiten und mit Material bestücken, um 7.25 Uhr Aufbruch, um die Kinder abzuholen, die mit einem Extraboot alle eingesammelt werden und bereits am Ufer beginnen, die Köpfe zu zählen, um blitzschnell die Essensplanung anzupassen und zu überlegen, wie viele Kopien denn noch fehlen. Vor dem Eingangstor der Finca Don Sigifredo werden die Kinder dann recht still und halten sich eng hinter mir – Hector und Yuma haben einen Ruf, auch wenn sie sich gut an die Kids und mich gewöhnt haben. Erster Halt dann am Waschbecken zum Händewaschen, denn ganz oft beginnt unsere erste Aktivität mit dem Einsammeln von Müll am Wegesrand, den wir dann auf dem Müllgestell abstellen, das Michi 2022 für uns gebaut hat und das ich mit den Kindern bemalt habe. Der Müll muss ja erhöht liegen, damit nicht irgendwelche Tiere alles verteilen.

Die Schuhe bleiben vor der Tür und dann ist Schulstart mit dem Morning Song und einer Doppellektion Englisch. Am Ende der Lektion darf das Tablet (ich habe mittlerweile 11 ausrangierte Tablets meiner eigenen Schule mitnehmen können) mit der Lernapp Anton benutzt werden, wo die passenden Übungen zum Gelernten zu finden sind – so enden übrigens auch die Lektionen in Mathematik und Sprache. Dann kommt das erste Highlight: das Frühstück, bestehend aus Porridge mit Früchten. Manchmal gibt es auch einen selbstgebackenen Zopf! Alle Kinder wollen immer Früchte schneiden und lutschen dabei hingebungsvoll an Ananasresten oder Erdbeerstrünken herum. Wir essen vor dem Schulhäuschen, dann wird noch ein bisschen gespielt, bevor es mit Mathematik weitergeht. Das Niveau liegt um Jahre hinter dem unseren. Ich habe den Eindruck, dass das Dezimalsystem irgendwie mit dem Kichwauniversum nicht ganz kompatibel ist und auch die Zahl 0 bereitet grosse Mühe. Hinzu kommt, dass das ecuadorianische Schulsystem auf Abschreiben basiert: gemeinsames Arbeiten, Lückenaufgaben, Textaufgaben, kurz, alles, was mit Transfer und Vernetzungen zu tun hat ist nur schwach ausgeprägt bis gar nicht vorhanden.

Nach 40 Minuten Mathematik rauchen allen die Köpfe dermassen, dass wir erneut eine kurze Pause machen, bevor es mit Sprache weitergeht. Rechtschreibeübungen, Reime, Wortarten und Sätze waren in diesem Jahr unser Thema. Und auch hier begrenzt die Welt den Wortschatz: so wusste beispielsweise niemand, was ein Vikuña ist – das lebt zwar in den Anden Ecuadors, aber wir befinden uns halt in der Amazonía. Auch die Viper oder der Flamingo waren ausserhalb der Wissens- und Vorstellungswelt ebenso wie die Kontinente und damit war ebenfalls das Wort bzw. der damit verknüpfte Inhalt unbekannt. Aber immer wieder gab es auch Überraschungen wie diesen Vers einer Schülerin der Sommerschule – wir hatten tatsächlich eine Dichterin unter uns:

La noche tiene una gran cuna
Plateada y serena: es la luna.

Zum Abschluss des Vormittags standen dann Bastelarbeiten mit den Jüngeren und niederschwellige physikalische Experimente mit den etwas Grösseren auf dem Plan. Zum Glück gibt es das Internet mit vielen Ideen, meine eigene Kreativität ist da eher beschränkt und auch die Naturwissenschaften gehören nicht unbedingt zu meinen Kernkompetenzen.

Und dann wurde gekocht – vieles gemeinsam mit den Kindern, einiges habe ich aber jeweils am Vortag vorbereitet. Dank Joëlles Licuadora (Mixer) konnten wir auch oft frische Säfte zubereiten. Da immer alle helfen wollen, war es jedoch mitunter etwas schwierig sämtliche Jöbli gerecht zu verteilen. Beim Kochen haben wir natürlich die Lebensmittelpyramide bearbeitet und Rechnen geübt, denn es muss ja immer gewogen und gemessen werden. Aber das Pizzablech gerecht auf 6 Personen aufzuteilen hat mathematisch so gut wie nie geklappt, denn dazu muss natürlich gemessen und richtig dividiert werden. Auch die Küchenwaage war den meisten ein Rätsel und viele Kinder hatten bereits Mühe, die Zahlen auf der Anzeige zu entziffern – die Vorstellung von Gramm und Kilogramm ist ebenfalls fast inexistent. Grösstes Mysterium war jedoch zunächst der Messbecher, aber mittlerweile haben die meisten gelernt, dass dort Milliliter bzw. Liter und Gramm angezeigt werden und man tunlichst auf die Abkürzungen ml und g achten soll. Gegessen wurde wieder draussen am grossen Tisch, aber erst wenn alle sassen und jeder etwas auf seinem Teller hatte: dann haben wir uns die Hände gereicht und laut «Buen provecho» oder «Enjoy your meal» gerufen – seltsame Gringositten halt 😊.

Viele Kinder haben dort zum ersten Mal unbekannte Dinge gegessen (Brokkoli, Blumenkohl, Tortilla española, Gemüsegratin) und normalerweise blieb nie etwas übrig. Wenn jemand etwas nicht mochte, dann fanden sich sofort Abnehmer*innen und die Reste musste ich immer sehr gerecht verteilen. Einige Kinder haben auch nach einer Tüte gefragt; sie haben oftmals nicht aufgegessen, um etwas für ihre Familie mitzunehmen. Mittlerweile weiss ich, wo es besonders knapp ist und kann dann auch gezielter die Reste mitgeben. Danach wurde abgewaschen, Zähne geputzt, der Besen geschwungen und alle wieder zum Boot gebracht, das so gegen 13.15 Uhr abfuhr.

Danach galt es für mich nachzubereiten, zu dokumentieren und den nächsten Tag vorzubereiten, einmal durchzuwischen und das Bad zu putzen. Besonders gefordert haben mich die Bastelarbeiten, da ich alles zunächst selbst ausprobieren musste, ebenso wie die Experimente. An dem Vulkan aus Backpulver und Essig bin ich beispielsweise immer gescheitert: das liegt entweder an der Luftfeuchtigkeit oder dem ecuadorianischen Essig und wird mir wohl auf ewig ein Rätsel bleiben.

Manchmal war auch die Wäsche dran – Joëlles und Michis neue Waschmaschine kann sogar Wasser aufheizen und die im Display angezeigte Zeit stimmt haargenau!

Oft bin ich gegen 17 Uhr dann noch eine Runde joggen gegangen – ist etwas abenteuerlich auf der elenden Schotterpiste, aber was soll’s, irgendwann kannten alle die rennende gringa loca (verrückte Ausländerin) riefen mir «hola maestra» zu oder boten mir eine Mitfahrgelegenheit an. Manchmal ging es auch als Abendspaziergang mit einer grossen Tasche über die Kuhweiden bzw. Joëlles neuen Weg zu meinem Lieblingszitronenbaum, um mich für die Woche mit Zitronen einzudecken – ich trinke hier im Dschungel Unmengen an Zitronenlimonade und auch die Kinder haben sie ebenfalls gern, sofern genügende Zuckermengen drin sind… Die Dämmerung war dann immer ein besonders schöner Moment: im Hängestuhl sitzen, lesen und den Geräuschen zuzuhören. Und dann war ich meistens auch schon so müde, dass ich gegen 20 Uhr geschafft ins Bett gefallen bin. So viel wie hier in Puerto Barantilla schlafe ich sonst nie. In diesem Jahr habe ich allerdings zum ersten Mal ein Mückennetz gebraucht, da es bedeutend feuchter ist als bei meinen letzten Aufenthalten und nachts so einiges an Getier um mich herumflog. Einmal waren sogar zwei Fledermäuse zu Besuch in meinem Schlafzimmer im oberen Stock des Schulhäuschens.

Fazit: Auch die zweite Sommerschule und mein dritter Aufenthalt sind sehr positiv aufgenommen worden. Ich beginne immer besser durch die hiesigen Strukturen durchzuschauen und viele Menschen kennen mich. Mittlerweile werde ich auch nicht mehr gefragt, ob ich wiederkomme, sondern wann…

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Eine Antwort auf „Sommerschule“

Britta, gratuliere zu deinem interessanten Beitrag und zu deinem engagierten Schuleinsatz unter etwas anderen Umständen. Wünsche dir weiterhin viel Freude an dieser einmaligen und abwechslungsreichen Aufgabe. Bei Joëlle und Michi bist du sicher gut aufgehoben.
Herzliche Grüsse
André

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